"Bist Du eine Italienerin?" Nein, war ich nicht. "Ich bin Serbin." Kaum bemerkbar das Hochziehen der Augenbraue,
lapidar die Antwort die folgte. "Ist auch egal, was Du bist. Ist eh' alles gleich dort unten." Tja, bekanntlich sind alle gleich.
Doch bekanntlich sind einige eben gleicher. Seit dem Karriere- und Schrebergartendenken ehemaliger Altkommunisten und anschliessend
selbst propagierter Yuppie-Demokraten auf dem Balkan, seit tausenden von Toten, zerrütteten Familien, Häusern und brodelndem
Hexenkessel irgendwo in Europas Südkurve next-door-to-us, wurde Differenzierung verlangt.
Erklärte ich, eine Yugoslawin zu sein, verlangte man nach der Republik. Outete ich mich als Serbin, war es egal und mit Erstaunen
wurde bemerkt, dass ich gar nicht wie eine Serbin aussehen würde. Meine Frage, wie denn ein Serbe aussieht, erntete Schulterzucken
und "weiss auch nicht, sehen eh' alle gleich aus".
Als zweite Generation von Pionieren, die in den 60-er Jahren zu Zeiten der Beatles, Woodstock und Rock'n Roll ihr Heimatland ohne
schwerwiegende politische oder wirtschaftliche Gründe verlassen hatten, waren wir in-der-Schweiz-Geborenen zu einer Mischkultur
mutiert. Voll integriert und zweisprachig aufgewachsen, profitierten wir von den für uns als positiv gewerteten Attributen die uns
unser Heimatland und das sogenannte Gastland boten. Doch wie gesagt, auch good old times neigen sich irgendwann dem Ende zu und die
Liberalität, Offenheit und das übergrosse Verständnis für verschiedene Kulturen wurde gegenüber uns Zweitgenerationisten auf die
Probe gestellt. Neue Generationen siedelten sich an, deren Beweggründe sich von unseren und deren unserer Väter unterschieden.
Hatten wir in Geschichtsbüchern nur über Kriege gelernt, Prüfungen darüber abgelegt, verständnislos über die Stupidität unserer
Vorfahren den Kopf geschüttelt und aufatmend gedacht, alles war und bleibt eben Geschichte, erlebten die Anderen das hautnah mit.
Zu unserem Alltag gehörte der Umwandlungsprozess eines Kurts in eine Klara, Susi das geklonte Schaf, Umweltkatastrophen,
Klimaveränderungen, die Spice Girls und die Pokémons. So ziemlich viele Tabuzonen waren gebrochen worden und so ziemlich vieles
erschien uns einfach als normal. Eines jedoch, war auch für uns zukunftsorientierte, modernisierte Medienkinder, irreführend.
Die Verschiebung oder gar der Wegfall der Landesgrenzen. Schier unfassbar die Tatsache, dass so etwas monumentales wie die Kanten
eines Landes geteilt oder neu verlegt wurden.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde uns die Tragweite des Ganzen bewusst. Hatte ich 20 Jahre lang meinen Sommerurlaub teils in
Serbien, teils an Kroatiens Künstenstränden verbracht, war das jetzt unmöglich. Wollte ich meine Grosseltern in Serbien besuchen,
musste ich als "verschweizerte-Yugoslawin" ein Visum für die Einreise in mein ursprüngliches Heimatland beantragen. War ich Zeit
meines Lebens das nette Mädchen von nebenan und eine von "ihnen" gewesen, prägten fortan eingeritzte Slogans wie "Yugos raus" die
Wartebänke an Busstationen. Erhielt ich E-Mails von meiner Familie aus dem Krisenherd Balkan, blockierten Bilder einer
verschandelten Madeline Albright und eines hitlerschnäuzigen Bill Clintons die Leitung meines Computers. Differenzierung wurde
verlangt.
Doch gepriesen seien die ehemaligen Pioniere, die uns Zweitgenerationisten einfach nur zu lebensfähigen Menschen erzogen hatten
und welche ihr beidseitiges Kulturverständnis nicht verloren hatten. Nicht der Krieg allein oder karriere- und machtgierige
Landesväter trugen die alleinige Schuld an der Verwirrtheit und Angst der Bevölkerung. Es war - oder ist - das Handling der
Situation, auch als Flüchtlingspolitik bekannt. Finanzielle und moralische Unterstützung der Flüchtlingsfamilien ohne
Gegenleistung oder teilweiser Erarbeitung dieser, führt bei der einheimischen Bevölkerung tatsächlich nicht nur zu Neid.
Vielmehr werden Unverständnis, das Gefühl des ungerechten-behandelt-werdens der eigenen Nation und sogar Aggression gegenüber
aller in der Schweiz lebender Ausländer, unabhängig von ihrer Integrität und jahrelanger Wohndauer, gefördert.
Nicht mehr sind wir alle gleich. Immer öfter sind einige gleicher. Nicht mehr sind wir Schweizer, Yugoslawen, Italiener,
Türken, Spanier oder Deutsche. Vielmehr sind wir Basler, Zürcher, Innerschweizer, Welsche, Tessiner, Norditaliener, Antalyer,
Bavarier, Elsässer, Basken, Catalanen, Sizilianer oder Ostfriesen.
Das Internet als Tor zur Welt und Kommunikator ohne Grenzen kann eines in uns Menschen nicht überdecken. Die Kleinlichkeit und
das Schrebergartendenken, dass heimlich in jedem von uns schlummert.
Aber auch hier gibt es zum Glück übergrosse und farblich abgestimmte Werbeslogans die auffodern "think different" und
"speak orange" zu betreiben und "das-dort-oben-die-Sukunft" ist.
Die "Sukunft jedoch liegt viel weiter unten, linkerhand und unterhalb unseres Schlüsselbeins. In unseren Herzen, unseren
Wertgefühlen und unserer Umsetzung derer.
Denn am Tag des jüngsten Gerichts fragt uns leider Gottes keiner, was wir gelesen - sondern was wir gemacht haben.

Helena Ugrenovic
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